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Heyligenstaedt , Maschinenbau, Gießen

Seit über 150 Jahren produziert Heyligenstaedt Fräsmaschinen und war damit lange Zeit Weltmarktführer. Der Tabakfabrikant Ludwig Rinn führte das Unternehmen zu seiner Blütezeit, bis es kurz nach seinem Tode in eine finanzielle Schieflage geriet und schließlich Konkurs anmelden musste, dann aber -stark reduziert- bis heute im Werkzeugbau tätig ist.

Die HEYLIGENSTADT Werkzeugmaschinen GmbH ist ein traditionsreiches Maschinenbau-Unternehmen in Gießen. Das Unternehmen produziert (2018) hauptsächlich CNC- Dreh- und Fräsmaschinen.

1876 gründete Louis Heyligenstaedt und Alexander Sartorius in Gießen die Heyligenstaedt & Comp. Werkzeug-aschinenfabrik. Die Produktion begann mit Biegemaschinen, Scheren, Stanzen und Drehbänke, später mit der Serienfertigung von Bohrmaschinen. Es war das typische Maschinenprogramm, das in einer Region, die sich gerade auf dem Weg von der Roheisenherstellung in Hochöfen zur Eisenverarbeiteten Industrie wandelte. Auszeichnungen auf der Gewerbeausstellung in Erfurt und Offenbach, sowie Exporte in viele Länder begünstigte die Nachfrage, so dass 1883 bereits 10.000 Maschinen produziert worden waren.

Sartorius starb 1882 und seine Witwe verblieb nur noch kurze Zeit Teilhaberin. 1886 errichtete Heyligenstaedt neue Fabrikanlagen und erzeugte den elektrischen Strom für die Maschinen, der erste in Gießen. Das Unternehmen hatte 1891 bereits 300 Mitarbeiter und war damit für eine Stadt von damals ca. 5000 Einwohnern ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Zusammen mit Louis Heyligenstaedt leitete ab 1894 der Ingenieur Dietrich Fahlenkamp das Unternehmen. Ihm sind viele innovative Konstruktionen zu verdanken, so einer großen vierfachen Kessel-Bohrmaschine. Auch knüpfte er Kontakte zu europäischen Staaten, nach Russland, Ostasien, Australien und Südamerika. Durch die Teilnahme an der Pariser Weltausstellung im Jahre 1900 wurden das Unternehmen Maschinen weltweit bekannt, so dass ein Jahr später die 100.000. Maschine ausgeliefert werden konnte. Das Unternehmen hatte zu der Zeit 500 Mitarbeiter.

Louis Heyligenstaedt widmete sich sehr der Ausbildung von Lehrlingen und Mitarbeitern und wurde vielfach geehrt.1910 stirbt er, so dass Fahlenkamp das Werk alleine leitete. Er wandelte die Firma 1911 in eine AG, der Heyligenstaedt & Comp. Werkzeugmaschinen und Eisengießerei AG mit einem Grundkapital von 1.250.000 Mark um. Durch den damit verbundenen Einfluss von Banken verringerte sich die Mitarbeiterzahl auf 385. Das Produktionsprogramm umfasste die unterschiedlichsten Bohrmaschinen, Drehbänke, besonders Radsatz-Drehbänke für die immer stärker nachgefragten Eisenbahnräder.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges brach die zivile Produktion nach um nach weg. Gegen Ende des Krieges produzierte Heyligenstaedt mit hohen Gewinnen Granaten. Man war nach Kriegsende optimistisch und errichtete ab 1922 neue Produktionshallen.

Mit Beginn der Inflation 1924 begann eine Serie von Erfolgen und Misserfolgen. Zunächst sicherte der Export noch die Produktion. Nach Einführung der Rentenmark verringerte sich dieser jedoch. Es kam zu Streiks und vielen Arbeitsprozessen, die das Unternehmen trotz einer Erhöhung des Aktienkapitals schließlich 1930 in die Zahlungsunfähigkeit führte. 1932 hatte es nur noch 32 Mitarbeiter.

Als Retter in der Not erwies sich der sehr vermögende Tabakfabrikant Ludwig Rinn. Er ersteigerte die Konkurs-masse (s. Kapitel: Tabakindustrie) und beabsichtigte, die Gebäude für sein benachbartes Unternehmen zu nutzen, zu dem auch noch eine Tonwarenfabrik gehörte (s. Kapitel: Sonstige Industrie). Das Unternehmen wurde 1933 im Handelsregister gelöscht.

Mit dem Beginn der NS-Zeit verbesserte sich die wirtschaftliche Situation, gleichzeitig ging die Nachfrage nach Zigarren wegen der immer stärker werdenden Zigarettennachfrage zurück, so dass Rinn beschloss, die Werkzeugfabrik wieder zu eröffnen. Er gründet mit einem Stammkapital von 20.000 Mark die Heyligenstaedt & Comp., Werkzeugmaschinenfabrik GmbH. Fahlenkamp und der Jurist Karl Dönges leiten das neue Unternehmen.

Der Neustart des Unternehmens beginnt mit der Instandsetzung und Modernisierung der Anlagen und Gebäude und einer Programmbereinigung. Die Energieversorgung wird auf die jetzt üblichen 380 Volt Drehstrom umgestellt. Hans Maas aus Düsseldorf übernimmt mit seinen umfangreichen Erfahrungen im Werkzeugmaschinenbau 1936 die Geschäftsführung. Er bringt das Maschinenprogramm auf einen neuen Spitzenstandard und stellt 1939 auf der Messe in Leipzig neben verschie-denen Spezialdrehbänken eine neu entwickelte Kopier-Fräsmaschine vor.

Während des Zweiten Weltkrieges werden nur wenige Mitarbeiter entlassen, da das Unternehmen zunehmend in die Waffenproduktion eingebunden werden musste. Aus Sicherheit gegen Luftangriffe erwarb das Unternehmen die Gießerei auf der Justushütte in Weidenhausen im Gladenbacher Bergland. Der Gießereibetrieb auf der Hütte wurde modernisiert und 1942 schied Dietrich Fahlenkamp nach 48jähriger Tätigkeit aus dem Unternehmen aus. Hans Maas wurde damit alleiniger Geschäftsführer. Neben großen Kopier-Fräsmaschinen für den Automobilbau entstanden besonders große Kopier-Fräsmaschinen mit hydraulischer Kopiereinrichtung und anderen technischen Besonderheiten. Die Beschäftigtenzahl stieg auf 1150 Mitarbeiter zu denen auch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter gehörten.

1944 wurden große Teile des Werkes durch Luftangriffe, vor allem im strategisch günstig gelegenen Gießen, zerstört. Die Produktion wurde daraufhin in einem alten Bergwerkstollen weitergeführt. Ende März 1945 besetzten amerikanische Truppen das stark beschädigte, aber nicht zerstörte Werksgelände, so dass nach Freigabe durch die amerikanischen Behörden die Produktion wieder aufgenommen werden konnte. Da Werkzeugmaschinen nicht hergestellt werden durften, entwickelte das Unternehmen Maschinen für die Textilindustrie und Holzbearbeitung. Damit entging man der Demontageanordnung und begann mit ca. 600 Mitarbeitern die Produktion.

Nach der Währungsreform von 1947 entwickelte das Unternehmen neue Fräsmaschinen, 1949 ein bis dahin unbekanntes Prinzip zur Bearbeitung sperriger und deshalb nicht drehbarer Großwerkstücke mit rotierenden Werkzeugen, u.a. zur Bearbeitung von Turbinenscheiben für Flugtriebwerke und für den Schiffsschrauben. 1957 war die Mitarbeiterzahl auf 1.000 gestiegen. Auch die Betriebsorganisation und der Arbeitsablauf an den Werkstücken wurde nach neuesten Erkenntnissen und Qualitätsstandards eingerichtet. Das Sozialsystem und die Entlohnungsformen werden neu geregelt. 1951 beträgt das Stammkapital der GmbH 3,5 Mio. DM, die Mitarbeiterzahl 1080. 1954 wird die Justushütte modernisiert um sie verstärkt für den Kundenguss und den Formbau einzusetzen.

1957 übernimmt Heyligenstaedt die Hessische Apparatebau GmbH in Taunusstein und führt im Stammwerk erstmals die EDV ein.

Nach dem Tod von Ludwig Rinn (1958) übernimmt sein Sohn Hans Rinn den Vorsitz im Aufsichtsrat. Auch der Geschäftsführer Maas wird durch seinen Sohn Dipl.-Wirtschafts-Ing. Hans Maas ersetzt. In den 60er Jahren wird ein neues Verwaltungsgebäude errichtet und die Produktpalette um komplette Systemlösungen numerisch gesteuerter Maschinen für Einzel- und Kleinserien erweitert. Es sind inzwischen 1.330 Mitarbeiter beschäftigt. Auf Ausstellungen in Hannover stellt Heyligenstaedt viele Neuentwicklungen vor und weitet den Export weltweit aus. 1971 übernimmt Dipl.-Wirtschafts-Ing. Jürgen Rinn die Geschäftsleitung und nach Spannungen mit der Familie Maas scheiden deren Mitglieder aus dem Unternehmen aus. Im Jahre des 100-jährigen Bestehens der Firma 1976 hat das Unternehmen 1.520 Mitarbeiter und zählt mit vielen Neuentwicklungen zu den führenden Maschinenbauern auf dem Weltmarkt.

Nach dem Ausscheiden von Hans Maas und seinen Brüdern geriet das Unternehmen in die Schieflage und die Verluste häuften sich bis 1985. Die Rinn & Cloos AG verkaufte 1985 75% der Geschäftsanteile und 1986 den Rest an den koreanischen Tong Il-Konzern, Mitglied der der Vereinigungskirche des Sektenführers Sun Myung Moon. Missglückte Neuproduktionen und Rückgang der Nachfrage der Automobilindustrie wegen des neuen Inhabers führten Heyligenstaedt dazu, 1994 den Vergleich anzumelden. 1995 folgte der Konkurs. Der Konkursverwalter führte das Unternehmen mit den verbliebenden 150 Mitarbeitern weiter. Ihm gelang es, das Lieferprogramm der in Konkurs gegangenen Maschinenfabrik Ravensburg zu integrieren und zusammen neue horizontale und vertikale Portalmaschinen sowie 2000 die Herstellung von Tisch- und Plattenbohrwerke der Maschinenfabrik Hermann KOLB aus Köln zu übernehmen.

Im Jahr 2001 kommt es endlich zu einem neuen Eigentümer: Vier Das Fuldaer Unternehmen und der langjährige Mitarbeiter Gerhold Knöß übernahmen das Kapital und Knöß wird der operative Leiter der Firma. Er kannte alle Kunden und deren Wünsche und konnte das Vertrauen zu den Abnehmern wiederherstellen.

Die folgenden Jahre waren durch die Umorganisation und Verlagerung des Rechnungswesens, des Controlling und des Personalwesens nach Gießen geprägt, wodurch viele Arbeitsplätze verloren gingen.

2005 wurde ein neues Ausbildungszentrum für 20 Azubis eröffnet. Das Werk beschäftigte etwa 200 Mitarbeiter. Es wurden laufen neue bzw. verbesserte Fräsmaschinen, zuletzt 2017 auf der EMO (Werkzeugmaschinen Weltausstellung) in Hannover mit der Heynumill-GS eine neu entwickelte Produktreihe von Gantry-Maschienen für die schnelle und präzise Komplettbearbeitung von mittleren und großen Werkstücken aus Stahl und Guss. (Gantry-Maschinen besitzen einen Fräskopf, der simultan in 3 Achsen große Werkstücke bearbeiten kann.)

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