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Main-Weser Hütte

 

Geschichte

 

Die Main-Weser-Hütte in Lollar nimmt unter allen Eisenhüttenwerken des Lahn-Dill-Reviers eine besondere Stellung ein. Zum einen ist seine Entstehung ungewöhnlich und zum anderen wurde es über 100 Jahre zum Stammsitz der Eisenhüttenfamilie Buderus, die von hier aus eines der größten Gießereibetriebe Deutschlands und Europas leiteten. Es sollte zu dem am längsten bestehenden Großunternehmen in Europa werden.

 Der Hüttenunternehmer Justus Kilian hatte sich mit der Wilhelmshütte in Dautphetal und der Justushütte in Weidenhausen bei Gladenbach finanziell übernommen. Er verkaufte diese Hütten und errichtete im Jahre 1854 auf einem verkehrsgünstigen Gelände in Lollar direkt an der zwei Jahre zuvor fertig gestellten Eisenbahnstrecke der Main-Weser-Bahn ein Eisenhüttenwerk. Nach dem Namen seiner Tochter nannte er das Hüttenwerk „Hedwigshütte“. 1861 kam es zu einem Streit mit seinem Schwiegersohn, den er als Buchhalter beschäftigte. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung wurde Kilian von diesem erstochen.

 Etwa zur selben Zeit suchte die Sozietät J.W. Buderus Söhne aus Hirzenhain am Rande des Vogelsberges, die mehrere Eisengruben und Hüttenwerke im Lahn-Dill-Gebiet besaß, ein verkehrsgünstig gelegenes Gelände zur Errichtung eines Eisenhüttenwerkes. Buderus hatte erkannt, dass man ein Hütten- und Eisenwerk nur dann wirtschaftlich erfolgreich führen konnte, wenn man über die Eisenbahn schnellen und günstigen Zugang zu den weit entfernten Absatzgebieten und zu der Steinkohle im Ruhrgebiet hatte. Denn es war die Zeit, in der Holzkohlehochöfen wegen der rasant steigenden Preise für Holzkohle nicht mehr wirtschaftlich waren. Außerdem wurde die Technologie der Verwendung der Steinkohle zum Beheizen der Hochöfen, die in England und Belgien bereits angewendet wurde, nun auch in Deutschland zunehmend eingeführt.

Als idealer Standort bot sich die verwaiste Hedwigshütte an, die die Sozietät J.W. Buderus Söhne 1861 für 85.000 Gulden erwarb und in Anlehnung an die Bahnstrecke „Main-Weser-Hütte“ nannte. Ab 1862 wurde Georg Buderus III, der älteste Sohn von Georg Buderus II Direktor der Hütte.

Zunächst galt es die veralteten und technisch unbrauchbaren Hochöfen zu ersetzen. 1863 wurde der erste Ofen angeblasen, der nach der römischen Göttin Minerva, der Beschützerin des Handwerks und Gewerbes, seinen Namen erhielt. Er wurde noch konventionell mit Holzkohle beheizt. Ein Jahr später war auch der zweite Hochofen „Vulkan“ betriebsbereit, der bereits mit Steinkohle bzw. Koks betrieben wurde. Das Erz bezog Buderus aus den eigenen Gruben um Wetzlar und Weilburg. Das mit dem Hochofen gewonnene Puddelroheisen fand einen unerwartet guten Absatz. Von 1864 wurde von zunächst 3.500 Tonnen die Produktion bis 1869 auf 13.000 Tonnen pro Jahr gesteigert. Die Tonne Qualitäts-Puddelroheisen wurde für 167 Mark verkauft. Die Herstellung kostete 125 Mark, so dass ein guter Gewinn erwirtschaftet werden konnte.

Die Umstellung auf Koksbetrieb hatte zur Folge, dass die abseitsgelegenen Hütten und Hämmer von Buderus, die noch mit Holzkohle arbeiteten und keinen Zugang über ein Schienennetz zu Steinkohle hatten, stillgelegt bzw. in ihrer Produktion stark eingeschränkt wurden. Dieses betrafen die Georgshütte in Burgsolms, die Löhnberger Hütte, die Christianshütte in Schupbach, sowie der Hessenbrücker Hammer in Laubach, der Louisenhammer und die Audenschmiede bei Weilmünster. Eine weitere Veränderung entstand als Folge eines Familienstreits unter den Buderus Brüdern. Die Sozietät wurde aufgelöst und Richard gründete mit seinen Bruder Georg Buderus II mit Wirkung zum 1. Januar 1870 die „Offene Handelsgesellschaft Gebrüder Buderus zur Main-Weser-Hütte bei Lollar“. Der Hauptsitz des Unternehmend war jetzt Lollar, zu dem die Zweigniederlassungen in Hirzenhain, die Neuschmiede und die Christianshütte gehörten.

Kaum waren die familiären Zwistigkeiten überwunden, geriet das Deutsche Reich nach 1873 in eine Depressionsphase (Gründerkrach). Die Preise für Puddelroheisen fielen innerhalb kurzer Zeit auf die Hälfte. Da sich die Lahnerze wegen ihres hohen Phosphorgehaltes nicht für das moderne Bessemerverfahren eigneten und zudem noch der Schutzzoll für Roheisen aufgehoben wurde, rutschte die Roheisenerzeugung auf der Main-Weser-Hütte und auf der Sophienhütte in Wetzlar in die Verlustzone. Man entschied sich, statt Puddelroheisen ab 1878 Gießereiroheisen herzustellen. Die Entscheidung erwies sich als ein Glücksfall, denn die Lahn-Dill Erze ergaben das hervorragende „Nassauische Gießerei-Roheisen“, das Buderus einen großen Wettbewerbsvorteil am Markt verschaffte. Das Gießereiroheisen eignete sich besonders zur Herstellung von dünnwandigen Gusstücken. Die Hochöfen der Main-Weser-Hütte, 1874 war der dritte Hochofen „Mars“ angeblasen worden, trugen wesentlich dazu bei, dass Buderus bis 1889 mehr als 15% des gesamten deutschen Gießereiroheisens produzierte.

Die Hochöfen wurden mit modernster Technik ausgestattet. Dazu gehörten eiserne Winderhitzer und ein Gichtaufzug. Der letzte Hochofen „Mars“ hatte eine für damalige Zeit eine enorme Höhe von 15 Metern. 

 

Gießerei

Als neuer Betriebszweig wurde im Werk Lollar nach Auflösung der Christianshütte in Schupbach die Kupolofengießerei aufgebaut. Die Gießerei arbeitete zunächst mit Formmodellen, die zuvor auf der stillgelegten Christianshütte benutzt wurden. Außerdem wechselten von dort 72 Former auf die Main-Weser-Hütte. Hergestellt wurde das auch auf anderen Hütten gängige Programm von Öfen, Herden in vielfältigen Ausführungen, die das erste Musterbuch von 1884 zeigten. Die Zahl der Beschäftigten auf der Main-Weser-Hütte betrug zunächst 20 Mann, stieg dann aber rasch auf 135 Mitarbeiter an. 1881 nahm die Hütte die Produktion des sog. Lönhold-Regulierofens auf, die dem Konstrukteur zuvor patentiert wurde. Er wurde zum großen Erfolg der Hütte, so dass die Beschäftigtenzahl in Lollar auf 250 Mann erhöht werden musste.

Obwohl das Schwergewicht auf die Roheisenerzeugung lag, wies Friedrich Schiele, der Schwager von Georg Buderus III darauf hin, dass wegen der schwerwiegenden Gewinnung der heimischen Erze und der hohen Frachtkosten für Koks, die Roheisenerzeugung im Lahn-Dill-Revier auf Dauer nicht wirtschaftlich möglich ist. Sie wurde bis zum Ende des Jahrhunderts auf allen Hütten eingestellt. Die Main-Weser-Hütte stellte die Roheisenproduktion im Jahre 1907 ein.

 

Umstrukturierung nach dem Tode von Georg Buderus

 

Während dieser kritischen wirtschaftlichen Situation und den Auseinandersetzungen mit seinem Bruder Hugo verstarb Georg unerwartet im Jahre 1895. Das Unternehmen spaltete sich danach in zwei selbständige Aktiengesellschaften auf.

1. In das Altunternehmen der Aktiengesellschaft „Buderus’sche Eisenwerke“, die ihren Sitz von Lollar nach Gießen, 1896 aber nach Wetzlar verlegte. Unter dem Generaldirektor Eduard Kaiser schied die Familie Buderus aus der Leitung aus. Kaiser reorganisierte die Werke und gewann durch Ausnutzung der Kuppelprodukte (Schlacke und Gichtgas) neue Märkte.

2. In die Neugründung von Hugo Buderus, die Aktiengesellschaft „Eisenwerke Hirzenhain und Lollar“ mit dem Sitz in Hirzenhain, ab 1898 in Lollar. Auch hier schied nach kurzer Zeit die Familie Buderus aus der Geschäftsleitung aus. Hermann Streinecke wurde Generaldirektor, Hugo Buderus zusammen mit seinem Schwager Friedrich Schiele Aufsichtsratsmitglieder.

Diese Zeit der Abtrennung der Main-Weser-Hütte vom Hauptunternehmen ist geprägt von zwei bedeutenden technisch-wirtschaftlichen Entwicklungen:

Die erste bezog sich auf die Entwicklung der Verwendung der Hochofenschlacke zur Herstellung von Zement. Hierzu wurde eine umfangreiche Grundlagenforschung betrieben und mit verschiedenen technischen Anlagen experimentiert.

Die zweite bestand in der Spezialisierung der Gießerei auf die Erzeugung von Heizungs-Radiatoren und dem Guss von Heizkesseln.

Die Sparte Zementerzeugung

Die Schlackenverwertung erfolgte gewöhnlich durch Herstellung von Schlackensteinen, ein preiswertes Baumaterial. In der langen Entwicklungsgeschichte des Zements hatte K.O. Forell 1896 ein Herstellungsverfahren entwickelt, bei dem in langen horizontalen Drehöfen mit Hilfe eines Brenngutgemisches von Hochofenschlacke, Kalksteinmehl und Steinkohlestaub als Brennmaterial Zement erzeugt wurde. Das Werk in Lollar unternahm intensive Versuche, Portlandzement nach diesem Verfahren zu erzeugen. 1998 ging die Zementfabrik in Betrieb. Nach dem Aufbau eines zweiten Drehofens konnte eine Jahresproduktion von ca. 120 000 Fass Zement erreicht werden. Im Jahre 1900 bestand das Zementwerk aus zwei rotierenden Brennöfen von je 18 m Länge und 1,8 m Durchmesser. Dazu kam ein rotierender Trockenofen von 12 m Länge und 1,8 m Durchmesser und aus einer Kühltrommel von 9 m Länge und 0,75 m Durchmesser sowie verschiedenen Kugel-, Sieb- und Rohrmühlen.

Eine Wirtschaftlichkeit des Zementwerkes konnte jedoch nicht erreicht werden und hätte dazu hohe Investitionen erfordert. Das Zementwerk wurde 1904 stillgelegt und die entwickelten und patentierten Verfahren verkauft.

 

Die Sparte Guss für Zentralheizungen

Eine neue Ära begann auf der Main-Weser-Hütte 1895 mit der ersten industriellen Produktion von gusseisernen Heizkesseln und Radiatoren für Zentralheizungen, die ersten in Deutschland. Der Vorteil der Zentralheizung kam aus den USA und setzte sich zunächst in größeren Städten durch. Der Absatz war zunehmend so erfolgreich, dass 1903/04 eine neue Radiatorengießerei errichtet und die Kesselfabrik erweitert werden mussten. 1904 wurden 10.200 Tonnen Radiatoren und 500 Gliederkessel gebaut. Die Mitarbeiterzahl musste um 200 auf ca. 1000 Mann erhöht werden. In Österreich, Belgien und Frankreich wurden die patentierten Radiatoren von anderen Unternehmen in Lizenz hergestellt.

Um genügend Wohnraum für die Mitarbeiter zu schaffen, wurde in Lollar damit begonnen, eine Siedlung mit Werkswohnungen zu errichten. Um Fachkräfte zu halten bzw. zu gewinnen baute Buderus insgesamt 98 Arbeiterwohnhäuser mit 369 Wohnungen und 44 „Beamtenwohnhäuser“ (=Angestellte) mit 57 Wohnungen.

Zwischen 1905 und 1911 stieg der Radiatorenguss um 131% und die Kessenproduktion über das Achtfache. Auf Grund der Zukunftsperspektiven wurde 1908 eine „Versuchsanstalt für die Heizkesselfabrik der Main-Weser-Hütte in Lollar“ gegründet, um durch Forschung das Produktionsprogramm zu optimieren. Es wurden Zentralheizungen für kleine Gebäude bis zu Großenlagen für Hotels, Theater, Schulen uam. angeboten.

Ein weiteres bedeutendes Ereignis war der Anschluss an die elektrische Stromleitung. Der Strom wurde auf der Sophienhütte in Wetzlar erzeugt und versorgte neben der Stadt Wetzlar auch die Main-Weser-Hütte, Lollar und einige anderen Gemeinden.

Neben den Werkswohnungen engagierte sich auf allen Gebieten der sozialen Leistungen. Es gab auf der Hütte eine Küche, einen Kindergarten, eine eigene Konsumanstalt für den Einkauf von Lebensmitteln, Kleidung und anderen Waren. Kuren wurden angeboten, eine ärztliche Betreuung organisiert, die Berufsausbildung der Kinder der Mitarbeiter unterstützt, eine eigene Sparkasse gegründet, und bei Jubiläen und zu Weihnachten extra Geldbeträge vergeben.

Kriegs- und Nachkriegszeit

Während der Zeit des Ersten Weltkrieges konnte die Main-Weser-Hütte in der Heizungssparte nur wenig produzieren, da zu viele Fachkräfte im Kriegsdienst waren und die Hütte sich auch an der Kriegsproduktion beteiligen musste. Die Hyperinflation von 1923 brachte zusätzliche Probleme. Damit Arbeiter möglichst nicht entlassen werden mussten, wurden 12-Stunden-Schichten eingeführt, um die Produktionskosten zu verringern. Die Wende kam 1926 mit einem Konjunkturprogramm der Reichsregierung, wovon vor allem der Baumarkt profitierte. Heizkessel und Radiatoren waren erheblich gefragt, ein Glücksfall für die Main-Weser-Hütte. Die Kessel- und Radiatorenproduktion musste ausgebaut und modernisiert werden. Neben die Zimmerheizkessen und Radiatoren aus der „Longa“-Reihe trat die den neuen Wohnverhältnissen angepasste und seit 1927 produzierte Serie „Stabulo“ in das Programm. Um 1930 wurde der erste Öl-Spezialkessel vorgestellt. Aber die wirtschaftlichen Verhältnisse änderten sich wieder dramatisch. 1929 wurde zwar die höchste Produktion von Heizkesseln erzielt und der Umsatz um gut 4 Millionen auf 49 Millionen Reichsmark gesteigert, aber der „Schwarze Freitag“ vom 25. Oktober 1929 stürzte auch Buderus und damit die Main-Weser-Hütte in eine lang anhaltende Depression. Wieder ein Glücksfall erwies sich 1932 das Angebot einer Kooperation des Hessen-Nassauischen Hüttenvereins, der im Dillgebiet Erzgruben, fünf Gießereibetriebe und ein Hochofenwerk besaß, sowie ein gleichzeitiger Freundschaftsvertrag mit den Burger Eisenwerken. Hierdurch entstand quasi ein schlagfertiges Großunternehmen, vor allem nachdem der Hessen-Nassauische Hüttenverein 1935 endgültig mit Buderus fusioniert hatte.

Jedes Werk fertigte andere Produkte, die Main-Weser-Hütte einzig Heizkessel und Radiatoren. Sie profitierten in Folge von dem Wirtschaftsprogrammen des Dritten Reiches, da der staatliche Eingriff in den Heizungssektor gering war. So stieg der Absatz bis 1936 kontinuierlich.

 

Ende 1936 verfügte die Reichsregierung die Bewirtschaftung der Eisenindustrie mit einer Einschränkung des Roheisen-Selbstverbrauchs. Darunter litt die Röhrengießerei der Main-Weser-Hütte, denn der verstärkt eingesetzte Gussbruch wurde knapp. Dafür musste immer stärker auf Kriegsproduktion umgestellt werden. In Lollar wurden nun auch Wurfgranaten in Massenproduktion hergestellt. Der gesamte Heizungssektor wurde fast ausschließlich auf den Bedarf der Wehrmacht ausgerichtet. Im Laufe des Krieges wurden zunehmend ausländische Kriegsgefangene und sog. „Ostarbeiter“ eingesetzt, vor allem französische und russische Kriegsgefangene, daneben italienische und französische Zivilarbeiter.

Im Jahr 1945 zerstörte ein Luftangriff die Main-Weser-Hütte. Dennoch konnte die Rüstungsproduktion sowie die Fertigung von Heizkesseln und Stahlradiatoren bis zum Einmarsch der Amerikaner am 28. März 1945 aufrechterhalten werden. Die Gussradiatorenproduktion musste bereits zu Kriegsbeginn auf Grund der Eisenbewirtschaftung aufgegeben werden. Nach Kriegsende wurden große Bestände von Materialien von den Zwangsarbeitern geplündert und Anlagen von ihnen zerstört, so dass die Produktion für eine gewisse Zeit gestoppt werden musste.

 

Wiederaufbau und Produktion ab 1945

Im Dezember wurde der sehr angesehene ehemaliger Rundfunkpionier Hans Bredow Aufsichtsratsvorsitzender von Buderus. Ihm gelang die zügige Wiederaufnahme der Kessel- und Gussradiatorenanfertigung im Werk Lollar im Februar 1946, zwangsläufig im sehr beschränkten Maße. Nach Kriegsende musste das Werk zunächst auf „Ersatzprodukte“, Die im Krieg gefallenden dringend benötigten Arbeitnehmer konnten durch Heimatvertriebenen ersetzt werden. Selbst die Vorstandsmitglieder Grabowski und Grosser waren gebürtige Schlesier. Aber erst die Währungsreform vom 21. Juni 1948 brachte eine Entspannung aller Rohstoff- und Verkehrsbeschränkungen, so dass die Produktion auf der Main-Weser-Hütte an die Vorkriegsproduktion schnell anknüpfen konnte. In diesem Jahr konnte auch die Stahlradiatoren-Fertigung wieder aufgenommen werden. Bereits 1951 konnte das Lollarer Werk die höchste Produktion von 1936 übertreffen. Die Vorkriegsproduktion von Heizkesseln von 1939 konnte 1948 bereits um 25% übertroffen werden. Die Belegschaft stieg von 62 Mitarbeitern im Mai 1945 auf 734 Beschäftigte im Juli 1946! Auch die seit den 1920er Jahren begonnene Lehrlingsausbildung konnte das Werk Lollar bereits im Mai 1945 mit 50 Lehrlingen wieder aufnehmen.

Als erste Großinvestition wurde 1952/53 eine „vollautomatische Gießfließanlage“, also eine Fließbandfertigung für Radiatoren, errichtet. Verbunden war damit eine Reihe von technischen Veränderungen. So wurden parallel dazu ein entsprechender Gattierungsplatz für die einzelnen Einsatzstoffe, wie Roheisen, Schrott, Gussbruch, Koks und Kalkstein mit einer modernen Begichtungs- und Heißwindkupolofenanlage erstellt. Für die Kerntrocknung waren zwei kontinuierlich arbeitende Durchlauftrockenöfen in Betrieb. Die Fließbandanlage wurde von einer zentralen Sandaufbereitung mit Formsand versorgt.

Die im Krieg vernachlässigte Versuchsanstalt nahm ihren Betrieb 1949 wieder auf. Sie bewirkte, dass ab 1954 bis 1956 völlig neue Heizkesseltypen entwickelt und produziert wurden. Beispielhaft dafür war der Gaskessel G 80 W mit atmosphärischem Gas-Einbaubrenner. 

Trotz aller wirtschaftlichen Krisen, in denen der gesamte Grubenbesitz und die Werke Wilhelmshütte in Dautphetal, die Amalienhütte in Niederlaasphe und die Schelderhütte in Niederscheld stillgelegt werden mussten, entwickelte sich der Zentralheizungsbau sehr positiv. Die Zahl der auf der Main-Weser-Hütte, die nun „Werk Lollar“ hieß, hergestellten gusseisernen Kessel stieg von rund 20.000 im Jahre 1952 auf über 100.000 im Jahre 1973. Als Auswirkung der Ölkrise fiel die Produktion in den folgenden beiden Jahren wieder unter 100.000 Stück. Buderus hatte am Markt für Heizungsanlagen jedoch neue Maßstäbe gesetzt, so dass dieser Rückgang nur temporär blieb. 1958 wurde die Heizkesselreihe „Longanatherm“ eingeführt, die den Heizkessel ökonomisch mit einem Warmwasserspeicher kombinierte und 1964 stellte Buderus als erstes deutsches Unternehmen ein wandhängendes Gas-Kombi-Heizgerät mit integrierter Warmwasserbereitung vor. Das Gerät wurde in Küchen- oder Kellerausführung angeboten und konnte mit allen Gasarten betrieben werden. Ansonsten wurden alle Zentralheizungsanlagen für Heizölbetrieb geliefert, da dieses der preisgünstigste Kraftstoff war. Die Heizungssparte im Werk Lollar war damit gut auf die Zukunft vorbereitet.

In der Nachkriegszeit wurde besonders auch in die Sozialleistungen Investiert. In der Lollarer Ostpreußenstraße erbaute Buderus 1960/61 einen Kindergarten für 75 Plätze für 145.000 DM, der sich an den Erfahrungen des 1953 errichteten Kindergartens der Sophienhütte orientierte. Der Kindergarten wurde kommunal betrieben und 1983 der Stadt Lollar übereignet. 1964 wurde ein Anbau an der alten Buderus-Villa auf dem Werksgelände errichtet. Dieser enthielt ein Informationszentrum über die Buderus-Heiztechnik Branche eingerichtet. Hier fanden Schulungen für Verkaufs- und Kundendienstmitarbeiter statt. Außerdem war ein Zentralheizungsmuseum angegliedert.

Nach der Ölkrise im Herbst 1973 wurde in Lollar die wirtschaftliche „Ecomatic“ Niedertemperatur-Technologie entwickelt. Sie brachte Öleinsparungen bis zu 30%. Im Mittelpunkt der Forschung standen nun die optimierte Brennstoffnutzung, die Verringerung des Schadstoffausstoßes und die Nutzung von alternativen Energieformen

Nach weiteren Investitionen im Bearbeitungsbereich folgte in den Jahren 1970 – 1978 eine grundlegende Verbesserung der Fertigungsbedingungen der Gießereien durch den Bau einer zentralen Schmelzanlage sowie dem Aufbau von drei Hochdruck-formanlagen und von mechanisierten Kernmachereien. Dabei wurden auch der Fertigungsfluss in den Bearbeitungs- und Montage-betrieben den neuen technischen Erkenntnissen angepasst. Ein neuer Produktzweig war die Regelgerätefertigung. Der Einzug elektronischer Regelverfahren zu Optimierung der Funktion von komplexen Heizungsanlagen durch fand durch die Verwendung gezielter Tansistortechnik in allen Bereichen ihren Einsatz und ermöglichte bis heute völlig neue, vor allem kosten- und energiesparende, Produkte. Die Anzahl der Mitarbeiter in dieser Abteilung stieg von zunächst 8 im Jahre 1960 auf über 200 im Jahre 1980. Die Folge dieser Technik war in Lollar Ausgangspunkt der Entwicklung neuer energiesparender Heizkessel, neuer effektiverer Heizkörper, Luftheizgeräte, Energiesammelsysteme und Wärmepumpen. Die Entwicklungsabteilung, die Nachfolgerin der Versuchsanstalt, hatte ständig neue und verbesserte Modelle und Systeme zu konstruieren, weil sich einerseits die Marktverhältnisse und zum anderen staatliche Vorgaben laufend änderten. Im Werk Lollar wurde 1993 die modernste und größte Formsandaufbearbeitungsanlage in Europa in Betrieb genommen. Ihr folgte 1995 eine zweite Anlage. Auch wurde eine neue Generation von Niedertemperatur-Heizkessel mit elektronischer Regelung auf den Markt gebracht.

Eine völlig neue Arbeitsmethode wurde 1996 mit der Gruppenarbeit eingeführt. Hiermit konnte Buderus schneller und effektiver auf Änderungen von Kundenwünschen reagieren, als es bei der traditionellen Fließbandarbeit möglich gewesen wäre. 1998 konnte der fünfmillionste Gussheizkessel hergestellt werden. Von der Beschreibung neuer Produkte und den Einstieg in die Internetaktivitäten soll hier abgesehen werden, um den Rahmen der Darstellung nicht zu sprengen.  

Unternehmenspolitische Veränderungen (Wechsel und den Besitzverhältnissen, Schaffung neuer eigenständiger Zweiggesellschaften) und die politischen Umwälzungen nach dem Fall der Mauer im Jahre 1989 hatten letztlich auch Auswirkungen auf die Buderus Heiztechnik GmbH mit ihren 5000 Mitarbeitern im Werk in Lollar. Auch die Entscheidung, sich im Ausland zu engagieren verschaffte der Heiztechnik im Jahre 2003 ein Umsatzplus von ca. 38 % und sicherte damit die Heiztechnik in Lollar.

 

Letzter Eigentumswechsel

 

Weitgehende unternehmenspolitische Strategien führten Anfang der 2000er Jahre zur Übernahme von Buderus durch Bosch. 2003/04 wurden die Heiztechnikaktivitäten von Bosch und Buderus zusammengelegt. Seitdem ist das Werk in Lollar ein Werk von Bosch, der „BBT Thermotechnik GmbH“ mit Sitz in Wetzlar. Obwohl ein zweites Werk auf der ehemaligen Main-Weser-Hütte errichtet wurde, kosteten alle Umstrukturierungen etliche Arbeitsplätze. Am 19. Juni 2009 wurde auf dem Lollarer Werksgelände die neu errichtete Buderus Akademie eröffnet - das »Flaggschiff« des Buderus-Schulungskonzepts mit einer umfassenden Präsentation der Heiztechnik. Das dreigliedrige Schulungskonzept von Buderus besteht aus der Akademie, neun bundesweit eingerichteten regionalen Trainingscentern und den Schulungsangeboten der 51 Buderus-Niederlassungen.

2015 waren in den beiden Werken Lollar 1 und Lollar 2 insgesamt 1.200 Mitarbeiter und ca. 60 Auszubildende beschäftigt. Lollar ist Sitz des Produktionsbereiches Heizen, Wohnen, das Kompetenzzentrum für Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, die Buderus Akademie und das Zentrallager für Ersatzteile. Die Arbeitsbereiche und Unternehmensstrukturen wechseln in immer kürzeren Zeitabständen, so dass über die gegenwärtigen Produkttionsverhältnisse kaum Aussagen gemacht werden können. Hierzu tragen politische Entscheidungen über regenerative Energieformen, aber auch internationale Konflikte (Russland, Nordstream II, Ukrainekrieg) indirekt bei.

 

Heutige Situation

 

Auf dem eigentlichen Hüttengelände befinden sich aus früherer Zeit nur noch die unter Denkmalschutz stehenden Gebäude des Gichtturmes und die Villa Buderus. Der viereckige 1863 erbaute Gichtturm des ehemaligen Hochofens sticht als Wahrzeichen von Lollar mit seiner über 40 m Höhe und dem leuchtend gelborangenem Anstrich hervor. Er wird heute als Verwaltungsgebäude genutzt. Zusätzlich zu dem Denkmalschutz untersteht er der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten.

Die Buderus-Villa liegt am Nordrand des Geländes. Sie ist im historisierenden Burgenstil errichtet und beherbergt das Heizungsmuseum. Auffälliger Bestandteil ist ein schmaler aber ca. 20 m hoher Turm mit Zinnen, dessen unterer Teil das Treppenhaus beinhaltet. Die Villa ist in weißem Außenputz gehalten.

Neben diesen beiden Gebäuden besteht in der Marburger Straße die sog. „Kolonie“, die älteste Arbeitersiedlung in Hessen. Sie besteht aus 20 zweistöckigen Wohngebäuden aus gelbgeigenen Klinkerwänden mit roten Eckseinen und ausgebauten Mansardenwohnungen. Zu dem Garten gehörte ein kleiner Stall für Kleinvieh, ein Schwein o.ä. für die eigene Versorgung. Die Siedlung steht ebenfalls unter Denkmalschutz.

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