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Haiger Minervahütte

Geschichte

Auf dem Gelände der MINERVA-Hütte in Haiger hat der Mitte des 19. Jahrhunderts ein Hüttenwerk bestanden. Die gesamte Anlage bestand aus einem höher gelegenen Stauweiher, dessen Wasserkraft zum Betrieb eines Gebläses oder Hammerantriebes eingesetzt wurde sowie Produktionsgebäude mit Hoch- und Kupolofen und ein Wohnhaus. Der letzte Direktor der Haigerer Hütte AG, Johann Nikolaus Keßler, berichtet, dass das Eisen zur Verarbeitung auf dem Haigerer Hammer früher von auswärts bezogen wurde. Er vermutete, dass das Roheisen von der ebenfalls herrschaftlichen Schmelzhütte „auf dem Köppel“, womit die Minerva-Hütte gemeint war, bezogen wurde, denn es war bekannt, dass die Minerva-Hütte auch andere Hammer- und Walzwerke mit Roheisen belieferte.

Inhaber der Minerva-Hütte war um die Mitte des 19. Jahrhunderts Ludwig Koch, ein Neffe von Ludwig Haas, dem die Niederschelder Hütte gehörte. Die Minerva-Hütte wurde später der Niederschelder Hütte angegliedert, deren Inhaber zu der Zeit Ludwig Haas war.  Kurz nach dem Deutsch-Französischen Krieg kam es im jungen Deutschen Reich zu einer wirtschaftlichen Rezession. Besonders hatten darunter die Eisenerzeugenden Hüttenbetriebe zu leiden, während die Geschäfte der Minerva-Hütte als reiner eisenverarbeitender Betrieb davon weniger betroffen war. Die Erben von Friedrich Haas hatten zu der Zeit erhebliche finanziellen Schwierigkeiten, so dass sie die Minerva-Hütte 1871/72 verkauft wurde.

In der Festschrift zur Tausendjahrfeier der Stadt Haiger im Jahre 1914 berichtet der Autor Rudolf Schramm über die Gründung und den Betrieb auf dem Firmengelände der Hütte: Danach wurde die Minerva-Hütte im Jahre der deutschen Reichsgründung 1871 am 1. April durch den Düsseldorfer Unternehmer G.A. Scheid unter der Firmenbezeichnung „Gewerkschaft des Schelder-Eisenwerks Minerva-Hütte bei Haiger“ in das Handelsregister eingetragen. Bereits am 15. November des Jahres 1872 wurde die Firma in „Minerva-Hütte, A. Grimmel & Co. in Haiger“ geändert. Mitgesellschafter war Georg Bogerts aus Haiger.

Das Unternehmen war als Produzent von landwirtschaftlichen Maschinen tätig. Die Produktion begann mit ca. 300 Stück Dreschmaschinen und ca. 500 anderen landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten. 1909 gab das Werk, das noch Zweigwerke in Insterburg (Ostpreußen) und Danzig besaß, einen bebilderten Katalog seiner Maschinen heraus. Dieser  Katalog trägt den Untertitel „Maschinenfabrik, Eisengießerei und Holzsägewerk“. Er enthält Angebote über das Produktionsprogramm von Dreschmaschinen, Göpel, Futterschneidemaschinen, Schrotmühlen, Rübenschneidemaschinen, Ölkuchenbrecher, Kreissägen und ähnliche Produkte.

Die Dreiteilung der Produktion in Eisengießerei, Maschinenfabrik und Holzsägewerk bedingte eine relativ hohe Mitarbeiterzahl. So waren bei der Gründung des Unternehmens 24 Mann, 1874 bereits 70 Beschäftigte, 1890 etwa 120 und 1900 sogar 180 Mann in dem Unternehmen tätig. Von der Gießerei bis zum Anstrich wurden alle Produktionsschritte im Werk selbst erledigt. In der Gießerei stellten zwei Kupolöfen täglich bis zu 10.000 kg Grauguss her. In einer Firmenschrift wird darauf hingewiesen, dass außer den „üblichen Hilfsmaschinen, Sandaufbereitung, Trockenöfen und Hebevorrichtungen eine sehr zeitgemäße, mit allen Neuerungen ausgestattete hydraulische Formmaschinenanlage eingesetzt wird, die mit einem Pressdruck von etwa 60 Atm. Betriebsdruck arbeitet“. Der fertige Rohguss wurde mit Sandstrahlgebläsen, Putztrommeln und Schleifmaschinen gereinigt und anschließend in das Magazin verbracht. Das Unternehmen weist darauf hin, dass es der Herstellung der Wellen für die Trommeln der Motordreschmaschinen besondere Aufmerksamkeit widmet. Nachdem sie auf der Drehbank hergestellt worden sind, wurden sie von speziell geschulten Mitarbeitern ausbalanciert und auf einem Egalisierungsstand noch einmal kontrolliert. Geradezu schwelgerisch wird die sorgfältige Auswahl und Bearbeitung des Holzes für die Maschinen geschildert.

1914 wurden 270 Mann und 24 kaufmännische und technische Beamte beschäftigt. In der Firmenschrift werden gewisse wirtschaftliche Schwierigkeiten genannt. Vermutlich zielen sie darauf, dass sich im Jahre 1903 der langjährige Mitarbeiter und Teilhaber der Minerva-Hütte, Georg Bogerts, sich mit einem Betrieb selbständig gemacht hatte, der die gleichen Produkte anbot. Im Jahre 1908 hatte Bogerts ebenfalls eine Gießerei angegliedert und beschäftigte ca. 100 Beamte und Arbeiter. Seine Futterbearbeitungsmaschinen und Dreschanlagen wurden in großer Zahl exportiert, was der Minerva-Hütte wohl manchen Auftrag gekostet haben dürfte.

1914 belief sich die Jährliche Produktion auf der Minerva-Hütte zusammen auf 4511 Futterschneidemaschinen, Rübenschneider, Steinschrotmühlen, Stiften- und Breitdreschmaschinen, Göpel und Motordreschmaschinen. Der Gesamtwert dieser Maschinen betrug ca. 900.000 Mark, worauf „ca. 220.000 Mk. für Löhne und Saläre für Arbeiter und Beamte zu zahlen waren“. Der Autor betont ausdrücklich, dass sich besonders die Produktion der größeren Maschinen, speziell die Motordreschmaschinen, erheblich vervielfacht habe. Die Maschinen wurden nach Dänemark, Holland, Belgien, Italien und Russland exportiert. Der Export von landwirtschaftlichen Maschinen nach Russland war in der Zeit erheblich. So exportierte die Maschinenfabrik Hollmann von der Oberndorfer Hütte ebenfalls landwirtschaftliche Maschinen nach Russland. Der Export kam jedoch mit Beginn der Oktoberrevolution im Jahre 1917 jäh zum Erliegen, was einige sehr stark exportorientierten Firmen in den wirtschaftlichen Ruin trieb. In wie weit die Minerva-Hütte davon betroffen war, ist nicht zu ermitteln, da die Umstände und der Zeitpunkt der Aufgabe des Unternehmens nicht bekannt sind.

Das Gelände der Minerva-Hütte umfasste insgesamt 35.000 m2. Alleine die Fabrikationsräume beanspruchten davon 9800 m2. Interessant ist, dass zu der Zeit die Angabe der Leistungen von Motoren und anderen Antriebsmaschinen als Ausdruck des technischen Fortschritts und damit der Modernität eines Unternehmens galt. Die Minerva-Hütte gibt an, dass „die Betriebskraft der Fabrik 250 effektive Pferdestärken“ beträgt, „welche sich auf zwei Wasserräder, zwei Lokomobilen, einen Diesel-Motor und verschiedene Elektromotore verteilen“. Mit diesen wurden die verschiedensten Werkzeugmaschinen in der Schlosserei, der Dreherei, der Schreinerei, der Gießerei sowie dem Holzsägewerk betrieben.

Im sozialen Bereich wurden zu der Zeit in allen Betrieben moderne Einrichtungen geschaffen. Bereits seit 1884 bestand auf der Minerva-Hütte eine Betriebskrankenkasse für die Angestellten und Arbeiter des Werkes. Hierunter darf man jedoch nicht eine Krankenversorgung im heutigen Sinne verstehen. Sowohl die Beiträge als auch die Leistungen waren zunächst sehr bescheiden und es bestand kein Anspruch auf spezielle Leistungen.

Die Minerva-Hütte hatte Filialen in Insterburg, Berlin und Köln. Die anfänglich genannte Niederlassung in Danzig wurde vermutlich aufgegeben.

Im Jahre 1914 war Rudolf Schramm alleiniger Inhaber des Unternehmens.

 

Die Minervahütte nach dem Zweiten Weltkrieg

Über die weitere Entwicklung der Minerva-Hütte konnte nichts in Erfahrung gebracht werden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Firma Thielmann Kabelwerk GmbH & Co. KG mit der Produktion verschiedener Elektrokabel. Die Firma ist aber bereits seit ca. 2006 erloschen. Ein Nachfolgeunternehmen scheint es bisher nicht zu geben. Ein Kosmetikgroßhandel benutzt einen Teil der Gebäude als Lager und Büro. Die restlichen Gebäude gehören der Erbengemeinschaft Thielmann. Sie stehen leer.  

 

Heutiger Bestand

 

Entgegen dem allgemeinen Trend von aufgegebenen Eisenhütten hat sich bei der Minerva-Hütte eine ungewöhnliche Anzahl alter Gebäude und Einrichtungen erhalten. Der Stauweiher des Aubaches dürfte noch aus der reinen Hüttenzeit von Ludwig Koch stammen, ebenso die drei Produktionshallen mit Runddächern und das Wohn-/ Verwaltungsgebäude. Letzteres ist in Fachwerkbauweise errichtet und Dach und Wände sind mit Schiefer betäfelt. Auffällig ist das weit heruntergezogene, damit überdimensional wirkende Dach. Dieses Wohngebäude wurde wohl später mit einem Fachwerklager zu einem Baukörper verbunden, so dass das Gebäude eine ganz außergewöhnliche Formgebung besitzt. Ebenfalls erhalten ist ein viereckiger Turm mit Zeltdach, der in die Baukörper integriert und ebenfalls vollständig mit Schiefertäfelung versehen ist.

An den drei Hallen mit Runddach wurden die Fenster im Erdgeschoss zugemauert und das Mauerwerk, wie auch der Rest des Gebäudes, mit Rauputz versehen. Es ist jedoch anzunehmen, dass dieser aus einer späteren Epoche stammt, jedoch aus unterschiedlichen Zeiten, da die ehemaligen Fenster noch im Umriss zu erkennen sind.

Möglicherweise sind auch noch zwei langgestreckte Produktionsgebäude erhalten. Auf alten Plänen befinden sich hier zwei lang gestreckte Fachwerkgebäude, die möglicherweise von einer moderneren Industriehülle umgeben wurden. Erhalten ist ebenfalls ein viereckiger Trafoturm mit Walmdach, der ebenfalls mit einem ehemals weißen Rauputz versehen ist. Ihm angrenzend stehen vier zweistöckige Lagerhallen mit Paralleldächern. Die Vorderfront verrät ein älteres Datum. Auch sie tragen einen vielmals ausgebesserten Rauputz. Die Fenster sind unsymmetrisch, scheinbar wahllos angeordnet. Hinter der Vorderfront sind zweckmäßige Lagerhäuser angebaut. Eine Halle trägt einen schlanken etwa 8 m hohen viereckigen Schornstein aus dunklem Ziegelmauerwerk. Das letzte der vier Gebäude besitzt unter dem Dach eine runde Entlüftungsanlage. Wahrscheinlich ein einfacher Ventilator, der außen mit einem korbähnlichen Gitter gegen das Eindringen von Vögeln gesichert ist.

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